Gewebe und Ornament

Rüdiger Giebler

Alles, was leicht und faserig, was kleinteilig und bruchstückhaft ist, sammelt Katrin Röder. Dinge, die sonst schnell verschwinden, die keine Aufmerksamkeit finden, nur als Reste behandelt werden. Fäden, Garne, Stoffe, Papiere, Folien, getrocknete Pflanzen. Manches wird liebevoll sortiert, anderes einfach nur in Kisten und Schubfächern bewahrt. Die Dinge brauchen ihre Zeit, einiges wird nach Jahren als unbrauchbar entsorgt, anderes erschließt unerwartete Möglichkeiten. Schon die Anhäufung der Dinge ist wichtig für die sinnliche Verarbeitung, die Sammlung muss eine kritische Masse erreichen, dann erschließt sich ihre Brauchbarkeit fast von selbst. Diese losen Dinge sind das Material und die Inspiration aus der ihre Arbeiten entstehen. Am Anfang ist das Spiel mit dem Material, die reine Freude, Ordnungen entstehen zu lassen, die für Außenstehende etwas undurchsichtiges haben.

Katrin Röder hat im Fachgebiet Malerei /Textil studiert, an einer Hochschule, die einen großen Teil ihres Selbstverständnisses noch immer aus der geschickten Verbindung von Handwerk und freier künstlerischer Auffassung bezieht. Das Ziel ist, das Geschick zu entwickeln, einfaches Material so in festen Zusammenhang zu bringen, dass das Entstehende plötzlich ein Objekt mit eigenem Charakter wird. Es geht um Vernetzung, den Halt, den die Partikel einander geben, um in einer geschlossenen Struktur aufzugehen, egal ob das Ergebnis geschöpftes Papier, Filz, gewebtes Tuchwerk oder eine Applikation ist. Das, was vorher lose Teile waren, was als Kleinteil schnell verloren wäre, findet in neuer unauflöslicher Ordnung einen festen Halt.

Die Dinge gehen eine geschlossene Verflechtung ein. Sie werden verknotet, verwoben, vernäht und verleimt. Im Grunde sind ihre Textilien und Papierarbeiten in erster Linie Collagen. Beschaffenheit, Farbe, Muster sind abrufbar aus dem Fundus. Ihre Zusammenstellung, Überlagerung, Vernetzung ergeben ein Bild. Es entsteht die Illusion eines Raumes, mit einer dichten, stofflich wahrnehmbaren Atmosphäre. Muster werden angelegt, Zeichen wiederholen sich, bis sie sich in der Logik des Ornaments binden. Es entstehen klassische Bildräume, die Landschaften und Architekturen imaginieren. Der Betrachter meint Pflanzen, Figuren und seltsame kultische Gegenstände zu erkennen.

Das Ideenmuster für all diese Arbeiten ist der klassische von Hand geknüpfte Teppich. In der Verflechtung wird materielle und geistige Stabilität erreicht. Der Stoff ist nicht mehr nur Faser, wärmende und schützende Wolle, er besitzt einen gesteigerten ideellen Wert von Würde und Erhabenheit. Weben und Nähen ist Ordnung schaffen. In einem haltbaren Geflecht entsteht ein logischer Zusammenhalt. Der Auftritt des Ornaments im Textil ist der erste Auftritt erfundener Schönheit und ein Spiegel der Logik. Das Chaos ist bezwungen.

Die Erfindung des Rades war eine beachtliche Leistung. Ohne die Erfindung des textilen Gewebes wären wir noch bei Null. Nichts geht ohne Netz.

(aus „Halle und Halle“ – Von der Arbeit an Bildern 2002)